Christoph Wirsung

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Christoph Wirsung (* 1500 in Augsburg; † 1571 in Heidelberg) war ein deutscher Arzt, Apotheker, Ratsherr, Übersetzer und Verfasser der Rezeptsammlung Artzney Buch.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Christoph Wirsung wurde im Jahr 1500 in Augsburg geboren als Sohn des reichen Kaufmanns Marx Wirsung[1] und der aus einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie stammende Agathe Sulzer. Ihm wurde eine humanistische Bildung zuteil; zur Erziehung und Ausbildung schickte man ihn, etwa 14-jährig, nach Italien. In Venedig erwarb er gründliche Sprachkenntnisse, die ihm bei seiner späteren Übersetzungstätigkeit zugutekamen. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland kehrte er um 1520 nach Deutschland zurück und übernahm nach dem Tod des Vaters 1521, gemeinsam mit der Mutter, die väterliche Apotheke in Augsburg, die er ab 1530 alleine führte.[2] Neben seiner Tätigkeit als Apotheker war Wirsung als Ratsherr an den Geschicken Augsburgs beteiligt.[3] Um 1562, vielleicht veranlasst durch den Tod seines Sohnes Philipp († 1562), siedelte er nach Heidelberg zu seiner Tochter Maria über, die mit dem Juristen und späteren Kanzler der Kurpfalz Christoph Ehem (1528–1592) verheiratet war. Dort starb er am 25. Januar 1571, drei Jahre nach Erscheinen seines „Artzney Buchs“.

Übersetzertätigkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während seines Studienaufenthalts in Italien lernte Wirsung das spanische Prosadrama La Celestina in der italienischen Übersetzung von Alfonso Ordóñez kennen und übersetzte es 1520 ins Deutsche. Im Jahr 1534 erarbeitete er eine völlig neue Übersetzung desselben Werks.[4] Er übersetzte mehrere Predigten des wegen Ketzerei aus Italien vertriebenen, ehemaligen Generalvikar des Kapuzinerordens, Bernhard von Ochino ins Deutsche. Eine gewisse literarische Berühmtheit erlangte Wirsungs Übersetzung, da in ihr das erste Sonett in deutscher Sprache (als Übersetzung aus dem Italienischen) enthalten ist.[5]

Das „Artzney Buch“[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Umzug zu seiner Tochter nach Heidelberg, begann Wirsung seine umfangreiche Rezeptsammlung (ca. 15 000 Rezepte) zu ordnen. Wirsung wollte mit seiner gedruckten Rezeptsammlung Stadt- und Landbevölkerung befähigen, Krankheiten richtig zu erkennen und einzuschätzen, und sie anleiten, die passenden Heilmittel zu verwenden. Sein Buch sollte speziell dem medizinischen Laien nutzen. Er wollte, wie er nachdrücklich schreibt, nicht nur über kostspielige Arzneien informieren, sondern auch Mittel für den schmaleren Geldbeutel bieten. Wirsung gliederte sein „Artzney Buch“ nach der klassischen „a capite ad calcem“-Ordnung („vom Kopf zu den Füßen“, „vom Scheitel bis zur Sohle“) in vier Teile, in denen Kopf, Brust, Bauch und die in ihnen liegenden Organe sowie die Gliedmaßen und ihre Krankheiten behandelt werden. Angefügt sind noch vier weitere Teile, in denen Hautkrankheiten, Fieber als eigenständige Krankheit, die Pest und Vergiftungen beschrieben werden; angehängt ist ein achter Teil, in dem Lebkuchen, Gewürzweine, Öle, Lebens- und Goldwässer mit ausführlichen Herstellungsanleitungen beschrieben werden. Die den einzelnen Krankheiten gewidmeten Abschnitte, in denen Ursache und Behandlung der Beschwerden erläutert werden, folgen immer dem gleichen schematischen Aufbau:

  • Jeder Abschnitt beginnt mit einem theoretischen Teil, in dem Wirsung zunächst Anatomie und humoralpathologische Konstitution (Komplexion) des gesunden und kranken Organs erläutert und Ätiologie und Symptome der Krankheit erklärt. Bemerkenswert ist, dass Wirsung in diesem theoretischen Teil seinen Leser gelegentlich sogar über unterschiedliche Lehrmeinungen medizinischer Kapazitäten informierte.
  • Diesem ersten theoretischen Teil folgt der zweite therapeutisch-praktische Teil. Dieser beginnt immer mit Vorschlägen für evakuierende Maßnahmen, das heißt, es werden Purgationen (Reinigungen) in unterschiedlichen Variationen und Stärken empfohlen, wobei erweichende oder abführende Maßnahmen überwiegen, oft ergänzt durch einen Aderlass. Dann wird die eigentliche Behandlung der Krankheit beschrieben mit einer großen Auswahl an Arzneimitteln in unterschiedlichen Darreichungsformen.
  • Den Abschluss bilden dann die sogenannten ‚Regimente‘, das heißt, der Kranke bekommt detaillierte Anweisungen seine ganze Lebensführung betreffend. Sie umfassen diätetische Empfehlungen für Essen und Trinken sowie Verhaltensregeln für seinen Tagesablauf, Schlafen und Wachen, Bewegung und Ruhe, Geschlechtsverkehr, Kleidung und die Wohnungsausstattung. Die Spanne der Arzneimittel reicht von sehr einfachen, praktisch kostenlosen Hausmitteln wie der Empfehlung, einen jungen Hund auf den nackten Bauch zu legen, um einen „kalten Magen“ zu kurieren, bis zum Goldenen Ei, einem weit verbreiteten Rezept, das vor Pest schützen und sie auch heilen sollte, bei dem ein ausgeblasenes Ei, das nur noch den Dotter enthielt, vor der aufwändigen Weiterverarbeitung mit Safran ausgestopft werden sollte.

Einschätzung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Werk erschien zuerst 1568 in Heidelberg; Wirsung dedizierte es Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz. Es sollte zu einem geschätzten Nachschlagewerk werden, erlebte mehrere Auflagen und wurde ins Holländische und Englische übersetzt. Die theoretischen Erläuterungen heben Wirsungs Werk weit über ein übliches deutsches Arzneibuch der Zeit hinaus und machten es für den Leser gleichermaßen zu einem medizinischen Lehrbuch.

Schriften, Ausgaben und Übersetzungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Wolfgang U. Eckart: Das „Artzney Buch“ (1568) des Christoph Wirsung. In: Kommentarband zur Faksimile-Ausgabe des „Artzney Buch“ von Christoph Wirsung (= Bibliotheca Palatina). Faksimile Verlag, o. O. 2007.
  • Wilhelm Fehse: Christof Wirsungs deutsche Celestinaübersetzungen. E. Karras, Halle (Saale) 1902.
  • Hermann Arthur Lier: Wirsung, Christoph. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 43, Duncker & Humblot, Leipzig 1898, S. 521.
  • Kathrin Pfister, Ulrike Schofer: Allen Hausvattern entsprüngender nutz – Das Heidelberger „Artzney Buch“ des Apothekers Christoph Wirsung (1500–1571). In: Christoph Friedrich und Joachim Telle (Hrsg.): Pharmazie in Geschichte und Gegenwart. Festgabe für Wolf-Dieter Müller-Jahncke zum 65. Geburtstag. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-8047-2562-1, S. 345–361.
  • Joachim Telle: [Art.] Wirsungs „Artzney Buch“ – Medizin für den „gemeinen Mann“. In: Elmar Mittler (Hrsg.): Bibliotheca Palatina. Ausstellungskatalog, Textband. Edition Braus Heidelberg, Heidelberg 1986, ISBN 978-3-921524-88-6, S. 227–229.
  • Joachim Telle: [Art.] Wirsung, Christoph. In: Killy Literaturlexikon, Sp. 22700–22702.
  • Amaranta Saguar García: One Translator, Two Translations, Three Theories. Christof Wirsung and Celestina. In: Javier Muñoz-Basols, Catarina Fouto, Laura Soler González und Tyler Fisher (Hrsg.): The Limits of Literary Translation: Expanding Frontiers in Iberian Languages (= Problema literaria. Band 71). Reichenberger, Kassel 2012, ISBN 978-3-937734-97-2, S. 217–234.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Josef Benzing: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, Bd. 12). Wiesbaden 1982.
  2. Gerhard Gensthaler: Das Medizinalwesen der freien Reichsstadt Augsburg bis zum 16. Jahrhundert mit Berücksichtigung der ersten Pharmakopöe von 1564 und ihrer weiteren Ausgaben. Augsburg 1973.
  3. Friedrich Roth: Augsburger Reformationsgeschichte 1517–1530. 4 Bde. München 1901–1911.
  4. Kathleen V. Kish: Early Responses to Celestina. Translations and Commentary. In: Enrique Fernandez (Hrsg.): A Companion to Celestina (= The Renaissance Society of America. Texts and Studies Series. Band 9). Brill, Leiden/Boston 2017, ISBN 978-90-04-34929-2, S. 305–320, hier S. 308-309.
  5. Philip McNair: Zu dem Bastardischen Christentum. The Italian Background of the first known Sonnet in German. In: From Wolfram and Petrarch to Goethe and Grass. Hrsg. von D.H. Green, L.P. Johnson und Dieter Wuttke. Baden-Baden 1982, S. 257–263.