ADB:Seckendorff, Veit Ludwig von

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Artikel „Seckendorf, Veit Ludwig von“ von Theodor Kolde in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 519–521, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seckendorff,_Veit_Ludwig_von&oldid=- (Version vom 20. April 2024, 03:50 Uhr UTC)
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Band 33 (1891), S. 519–521 (Quelle).
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Seckendorf: Veit Ludwig v. S., Polyhistor und Staatsmann, wurde am 20. December 1626 zu Herzogenaurach unweit Erlangen geboren. Da sein Vater, Joachim Ludwig v. S. nach dem Einfall der Schweden in Franken 1632 (in dem von Herzog Ernst von Gotha angeworbenen Regimente, vgl. Beck, Ernst d. Fromme I, 69) in schwedische Dienste trat, blieb der Mutter, einer geborenen Schertlin v. Burtenbach die Erziehung zumeist überlassen. Sie war eine Frau von inniger tiefer Frömmigkeit, die in dieser Beziehung einen nachhaltigen Einfluß auf ihren Sohn ausübte. In Coburg, dann in Mühlhausen erhielt er den ersten Unterricht. Im J. 1636 siedelte er mit der Mutter nach Erfurt über, wo er den Grund zu seiner späteren Gelehrsamkeit legte. Schon im 11. Jahre vermochte er seiner eigenen Angabe zufolge lateinische Oratiunculas per omnia genera zu componiren und memoriter zu recitiren. Mit Hülfe von Gönnern kam er als Spielgefährte zweier württembergischer Prinzen 1639 wieder nach Coburg, wo er die Aufmerksamkeit Herzog Ernst des Frommen auf sich lenkte, der ihn 1640 auf das von Andreas Reyher geleitete Gymnasium illustre nach Gotha schickte. Neben dem genannten Gelehrten war namentlich der philologisch gebildete spätere Generalsuperintendent Salomo Glaß in seiner milden aber von entschiedener Frömmigkeit getragenen Richtung für seine Entwicklung in dieser Beziehung von großem Einfluß. In jener Zeit traf die Familie ein schwerer Schlag, indem sein Vater unter dem wie es scheint nicht ganz unbegründeten Verdachte, zu den Kaiserlichen übergehen zu wollen, in Salzwedel enthauptet wurde. Um seiner früheren Verdienste willen sorgte man jedoch für seine Angehörigen. Auf die Verwendung Torstenson’s setzte die Königin Christine der Mutter ein Jahrgehalt aus, und ein Kampfgenosse des Vaters, der Oberst Mortaigne, gewährte Veit Ludwig die Mittel, noch in demselben Jahre die Universität Straßburg zu beziehen. Nach mehrjährigem Studium der Philosophie, Jurisprudenz und Geschichte dachte er daran, die militärische Laufbahn einzuschlagen, gab diesen Gedanken jedoch auf den Rath jenes väterlichen Freundes wieder auf. Auf der Reise nach Erfurt, wo er wohl seine Studien fortsetzen [520] wollte, besuchte er 1645 auch den Hof in Gotha, was für sein Leben entscheidend wurde. Der Herzog gewährte ihm 200 Thaler zu einer Reise nach den Niederlanden und ernannte ihn nach seiner Rückkehr zum Hofjunker und Aufseher über die herzogliche Bibliothek mit dem besonderen Auftrag, aus bestimmten Büchern das Nützliche und Interessanteste auszuziehen und seinem Fürst in Mußestunden oder auch an Sonntagen oder auf Reisen vorzutragen. Hierdurch gewann er Gelegenheit zu den reichen litterarischen Sammlungen, die er in seinen späteren Schriften verwerthete. Im J. 1652 wurde er obwohl erst 26 Jahre alt zum Hof- und Justitienrath ernannt. Im J. 1656 (nicht 1665) gab er seinen „deutschen Fürstendienst[1]“ heraus, ein Werk, welches als eine Art Handbuch des deutschen Staatsrechts aufgefaßt werden kann und als solches auch geschätzt wurde, andrerseits aber besonders deshalb den Beifall der Zeitgenossen fand, weil es eine systematische Zusammenstellung von Regeln und Vorschriften für eine wolgeordnete Regierungspraxis giebt in Anlehnung an die Grundsätze der Verwaltung in dem damaligen Herzogthum Gotha. In demselben Jahre 1656 trat er selbst als Geheimer Hof- und Kammerrath in den Verwaltungsdienst und 1664 beehrte ihn das Vertrauen seines Fürsten mit der höchsten Würde im Lande, der eines Kanzlers. Namentlich machte er sich um die Finanzwirthschaft des Landes verdient, dürfte aber auch sonst von hoher Bedeutung für die mancherlei Reformen in politischer, kirchlicher wie pädagogischer Beziehung gewesen sein, welche die Regierung Ernst des Frommen auszeichnen. Im Interesse des Ausgleichs über die Frage nach dem Schutzrecht über die Stadt Erfurt schrieb er gewissermaßen amtlich „Justitia protectionis in civitate Erfurtensi etc.“ 1663, 4° und „Repetita et necessaria defensio justae protectionis etc.“ 1669. Auf herzoglichen Befehl verfaßte er ferner eine „Schola latinitatis“ für das Herzogthum Gotha (Gotha 1862) und arbeitete seit 1662 mit den Gelehrten Artopoeus und Böcler an einem später viel gebrauchten in erster Linie für das Gymnasium zu Gotha bestimmten Compendium historiae ecclesiasticae, in dem er die Kirchengeschichte im alten Bunde beschrieb und das 1666 im Druck erschien. Der Amtsgeschäfte wurden ihm, dessen Neigung je länger je mehr die gelehrte Forschung war und der eine umfangreiche gelehrte Correspondenz unterhielt, nachgerade zuviel und so folgte er gern noch in demselben Jahre, in welchem er Kanzler in Gotha geworden war, einer Berufung des Herzogs Moritz von Sachsen-Zeitz als Kanzler und Consistorialpräsident. Trotz mancherlei Mißhelligkeiten blieb er in dieser Stellung bis zum Tode seines Fürsten im J. 1681, legte dann aber alle seine Aemter mit Ausnahme dessen eines Landschaftsdirectors von Altenburg nieder und zog sich auf das von ihm im J. 1677 erworbene (noch heute im Besitz der Familie befindliche) Gut Meuselwitz bei Altenburg zurück, um dort seinen gelehrten Neigungen zu leben. Hier reiften seine hervorragendsten Schriften. Gewissermaßen als Gegenstück zu seinem früher erwähnten Fürstenstaat edirte er nach längerem Zögern auf den Rath seiner Freunde namentlich Spener’s im Jahre 1685 seinen „Christenstaat“, worin „von dem Christentum an sich selbst, und dessen Behauptung wider die Atheisten und dergleichen Leute, von der Verbesserung des Weltlichen und des Geistlichen nach dem Zweck des Christenthums“ gehandelt wird. Es ist ein christliches Laienbuch, das vielfach von Pascal’s Pensées angeregt, alle Stände zu einem praktischen Christenthum führen will, und welches sicherlich durch seine besonnene ruhige Art, die überall den weiten Blick des erfahrenen Staatsmannes erkennen läßt (man vgl. z. B. den Gedanken von der allgemeinen Wehrpflicht S. 249, 352, 368 f.), für die Verbreitung des Pietismus vorgearbeitet hat, obwohl ihr Verfasser eine viel zu kritisch und zu praktisch angelegte Natur war, um für das Mystische und die Gefühlsseligkeit im Pietismus Sympathie zu hegen und namentlich auch sehr viel von dem Staate für Verbesserung der Zustände [521] erwartete. In ähnlichem Gedankenkreise bewegen sich mehrere andere Schriften die nur zeitgeschichtlichen Werth haben, wie seine Vertheidigung Spener’s gegen die Imago pietatis (1692), aber von unvergänglichem Werthe, noch heute ein unentbehrliches Buch für alle Reformationshistoriker ist sein „Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo seu de reformatione“. Schon früher hatte ihn Herzog Ernst veranlassen wollen, eine Geschichte der Reformation zu schreiben. Jetzt regte ihn die Schmähschrift des Jesuiten Maimbourg, Histoire du Luthéranisme, Paris 1680, und das Aufsehen, welches dieselbe machte, dazu an, den Gedanken ernstlich ins Auge zu fassen. Er machte dazu die umfänglichsten Studien, das gesammte archivalische Material der sächsischen Fürsten stand ihm zu Gebote, und in geradezu staunenswerth kurzer Zeit brachte er das große Werk zu Stande. Die Methode ist die, daß er Capitel für Capitel Maimbourg’s Darstellung in lateinischer Uebersetzung voranstellt, um dann eine actenmäßige Widerlegung und Additiones in solcher Ausführlichkeit folgen zu lassen, daß das Buch in der That an dem Faden des Lebens Luther’s eine deutsche Reformationsgeschichte bietet, die nicht nur dem Bedürfnisse ihrer Zeit entsprach, sondern wie bereits bemerkt, ob der Fülle des Stoffes und des reichen Actenmaterials auch heute noch nicht entbehrt werden kann. Im J. 1688 erschien der erste Theil in Quart, da S. aber inzwischen in den Besitz von weiteren Archivalien gekommen war, unterzog er das Ganze einer Umarbeitung, und erschien 1692 das vollständige Werk in Folio. Während er daran arbeitete, sammelte er seine „Deutschen Reden“ (Leipzig 1686), eine Mustersammlung von Reden, die er bei allen möglichen Gelegenheiten gehalten hat, die in ihrer Zeit sehr bewundert wurden und bei aller Weitschweifigkeit und Gespreiztheit, wie sie in dem Charakter der Zeit lag, doch überall den Gelehrten und das einsichtige Urtheil des Verfassers erkennen lassen. Im J. 1692, als er eben mit seinem großen Werke über Luther fertig war, wurde der gelehrte Mann als Kanzler an die neuentstehende Universität Halle berufen. Am 31. October 1692 langte er daselbst an, starb aber schon am 18. December d. Jahres. Was man von ihm hielt und von ihm in Halle erwartete, zeigt die Leichenrede des Chr. Thomasius in dessen Kleinen deutschen Schriften S. 498. Ferner ist zu vergl. D. G. Schreber, Historia vitae ac meritorum Viti Ludovici a Seckendorf, Lps. 1733. A. Clarmond, Lebensbeschreibungen Wittenb. 1709, Th. 8, S. 165 ff. Schröckh’s Lebensbeschreibungen 2. Thl. Leipz. 1790, S. 285 ff. und Nasemann in Preuß. Jahrb. 12. Bd. 1863, S. 257 ff. und der Artikel Seckendorf in Herzog’s Theol. Realencyklopädie 2. Aufl. Bd. 14, S. 12 von dem Unterzeichneten.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 520. Z. 10 v. o. l.: Fürstenstaat. [Bd. 45, S. 672]