ADB:Niethammer, Friedrich Immanuel

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Artikel „Niethammer, Friedrich Immanuel“ von Carl von Prantl in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 23 (1886), S. 689–691, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Niethammer,_Friedrich_Immanuel&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 06:44 Uhr UTC)
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Niethammer: Friedrich Immanuel N., geb. zu Beilstein bei Heilbronn am 6. März 1766, † in München am 1. April 1848, Sohn eines Pfarrers, erhielt den Gymnasialunterricht in Heilbronn, worauf er in das Tübinger Stift eintrat und, nachdem er kurze Zeit in Gotha als Hausiehrer gelebt hatte, sich zu weiterem Studium der Philosophie und der Theologie an die Universität Jena begab. Die Stelle, welche er auf Reinhold’s Empfehlung bei einem feingebildeten Fabrikbesitzer in Klagenfurt erhalten hatte, war sehr vorübergehend, da er sich der wegen Widersetzung gegen eine Schildwache drohenden Strafverhandlung durch die Flucht entzog. Nach Jena zurückgekehrt, promovirte und habilitirte er im J. 1792 mit einer Abhandlung „De vero revelationis fundamento“ und vertrat als Docent der Philosophie den Standpunkt Kant’s; aber in seiner Schrift „Ueber den Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ (1792) bekannte er den Anschluß an Fichte (bezüglich der gleichnamigen Schrift des letzteren). Von der Noth des Lebens gedrückt fand er Unterstützung durch Schiller, für welchen er nicht blos den Pitaval übersetzte („Merkwürdige Rechtsfälle als Beitrag zur Geschichte der Menschheit, nach dem französischen Werke des Pitaval, herausgegeben von Fr. Schiller“, 2 Bde., 1792–94), sondern auch Vertot’s Histoire des chevaliers hospitaliers de St. Jean bearbeitete er in „Geschichte des Maltheserordens nach Vertot, mit einer Vorrede versehen von Fr. Schiller“ (2 Bde. 1792 f.). Nachdem er seinen „Versuch einer Ableitung des moralischen Gesetzes aus der Form der reinen Vernunft“ (1793) veröffentlicht hatte, worin er einem der bedenklichsten Punkte in Kant’s System auf Grund der Anschauungen Fichte’s abzuhelfen suchte, wurde er zum außerordentlichen Professor der Philosophie ernannt (1793), und nachdem die Stelle des nach Kiel abgehenden Reinhold durch die Berufung Fichte’s besetzt worden war, ging N. als Extraordinarius an die theologische Facultät über (1795), wo er über Dogmatik und Kirchengeschichte las und die Leitung des homiletischen Instituts [690] übernahm. In freundschaftlichem Verkehre stand er mit all den Männern, auf deren Zusammenwirken die damalige Glanzperiode der Universität Jena beruhte, mit Schütz, Erhard, Forberg, Paulus, Hufeland, Fichte, Schiller, Schelling, Hegel, und als Goethe in Jena weilte (1795), nahm dieser bei N. förmlich einen halbjährigen Curs der Philosophie, welcher in täglichen einstündigen Spaziergängen durchgemacht wurde. Nach mancherlei Vorarbeiten gab N. das „Philosophische Journal einer Gesellschaft deutscher Gelehrten“ heraus, von welchem 1795 drei Bände (12 Hefte) erschienen, und 1796 trat Fichte als Mitherausgeber ein. In dieser für jene Jahre einflußreichen Zeitschrift (1800 ging dieselbe ein) sind von N. selbst verfaßt die Aufsätze: „Von den Ansprüchen des gemeinen Menschenverstandes an die Philosophie“ (1795, Heft 1) und „Versuch einer Darstellung des Vernunftmäßigen in den materiellen Moralprincipien“ (1797, Heft 1), in welchen er ebenso wie in der Schrift „Ueber Religion als Wissenschaft“ (1795) den Grundsätzen Fichte’s treu blieb. Nebenarbeiten anderer Art waren: „Proben einer Uebersetzung aus Sextus Empirikus“ (1796 in Fülleborn’s Beiträgen) und „Beiträge zur Berichtigung der deutschen Rechtschreibung“ (1797 im Allgem. literar. Anzeiger); auch gab er eine deutsche Bearbeitung seiner oben erwähnten Dissertation unter dem Titel „Versuch einer Begründung des vernunftmäßigen Offenbarungsglaubens“ (1798). Als im Jahre 1799 die bekannten Maßregeln gegen Fichte ergriffen wurden (s. A. D. B. VI, 763 f.), kämpfte N. freimüthig und mannhaft für seinen Freund und zur Vertheidigung der Zeitschrift in der Publication „Der Herausgeber des philosophischen Journals gerichtliche Verantwortungsschriften gegen die Anklage des Atheismus“ (1799, S. 121 ff.). Inzwischen hatte er sich mit der Kirchenrathswittwe Döderlein, geb. v. Eckardt, vermählt, welche einen Knaben in die Ehe mitbrachte, der später als Philologe eine hervorragende Laufbahn nahm (s. A. D. B. V, 281). Im Herbst 1803 siedelte N. als Professor der Theologie an die Universität Würzburg um, wohin der bairische Minister Montgelas gleichzeitig auch die Jenenser Professoren Schelling, Paulus, Hufeland und Stahl berufen hatte: da aber durch die Abtretung Würzburgs an den Großherzog von Toscana (1806) die Stellung der Protestanten eine minder haltbare geworden war, wurde N. als Landesdirectionsrath für Schul- und Kirchenwesen nach Bamberg versetzt, wo er Gelegenheit fand, seinem aus Jena geflohenen Freunde Hegel die Stelle als Redacteur der Bamberger Zeitung zu verschaffen. Im J. 1808 wurde er von Montgelas nach München berufen und als Centralschulrath und Oberkirchenrath mit der Ausarbeitung eines neuen Lehrplanes für die Gymnasien beauftragt; zur Vorbereitung und Rechtfertigung desselben veröffentlichte er seine bedeutsame Schrift „Der Streit des Philanthropismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungsunterrichtes unserer Zeit“ (1808), worin er auf Grund der Unterscheidung der geistigen und der animalischen Seite des Menschen einerseits die Vernunftbildung zum Ideale der Humanität und andrerseits die Heranbildung zu realistischen Fertigkeiten mit grundsätzlicher Betonung des Uebergewichtes der ersteren Richtung erörterte. Da diese Grundsätze durch das sog. „Allgemeine Normativ“ (1808) ihre praktische Durchführung fanden, ergab sich ein segensvollster Einfluß Niethammer’s auf die gesammten baierischen Mittelschulen, welche vielfach noch aus der Regierungsperiode Karl Theodors sich in einem verrotteten Zustande befanden und auch durch den Wismayr’schen Studienplan vom J. 1804 auf schlimme Abwege gerathen waren. Es wurde nun der Dualismus zwischen humanistischen Gymnasien und Realgymnasien streng durchgeführt, und während an ersteren es sich um eine gesteigerte Pflege des classischen Alterthums handelte, fand auch an letzteren die ideale Seite ihre Berücksichtigung, indem in den höheren Classen derselben einige philosophische Disciplinen [691] Unterrichtsgegenstand wurden (so konnte N. noch 1808 die Berufung Hegel’s an das Nürnberger Realgymnasium erwirken). Die neue Einrichtung fand bezüglich der humanistischen Gymnasien die lebhafteste und thatkräftigste Unterstützung durch Thiersch und Fr. Jacobs, aber es erhob sich eine altbaierisch-katholische Opposition, welche nicht nur den alten Schlendrian zu conserviren trachtete, sondern auch durch niederträchtige Mittel die norddeutschen Protestanten zu verdrängen suchte (s. A. D. B. XIII, 605 ff.), und durch diese widrigen Verhältnisse tief verstimmt wandte sich N. wiederholt (1809 und 1810) brieflich an seinen ehemaligen Amtsgenossen Schütz mit der vertraulichen Anfrage, ob nicht irgend ein Lehrstuhl an einer protestantischen Universität für ihn ausfindig zu machen sei. Diese Bemühungen blieben erfolglos, doch wurde ihm eine gewisse Genugthuung zu Theil, indem sein Gegner Wismayr in den katholischen Oberkirchenrath versetzt wurde (1810); hingegen sein Lehrplan wurde infolge mehrfacher Umtriebe, an welchen sich auch Caj. v. Weiller betheiligte, im Jahre 1816 durch einen neuen Studienplan der Mittelschulen ersetzt. Allerdings wandte sich, da mancherlei Mißstände hervorgetreten waren, das Ministerium noch einmal (1824) an N. mit dem Auftrage, eiligst eine neue Studienordnung zu entwerfen, jedoch machte sich abermals eine Gegenströmung geltend, und alsbald nach dem Regierungsantritte König Ludwigs I. wurde (1826) der Oberschulrath unter Beseitigung seiner bisherigen Mitglieder gänzlich umgebildet. Unterdessen war N. im J. 1818 zum Rath an dem neu errichteten protestantischen Oberconsistorium ernannt worden, wo er an der Abfassung der baierischen Agende betheiligt war; 1845 trat er unter Ernennung zum Geheimen Rath in den Ruhestand. Litterarisch hatte er sich seit 1808, in welchem Jahre er eine kleine Abhandlung „Ueber Pasigraphik und Idiographik“ veröffentlichte, nur noch durch eine Bearbeitung der Predigten Luther’s (1830) bethätigt.

Neuer Nekrolog d. Deutschen, Jahrgang 1848, S. 291 ff. – Elsperger in Schmid’s Encyklopädie des gesammten Erziehungs- und Unterichtswesens, Bd. V, S. 233 ff.