ADB:Massenbach, Christian Freiherr von

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Artikel „Massenbach, Christian von“ von Bernhard von Poten in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 20 (1884), S. 565–567, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Massenbach,_Christian_Freiherr_von&oldid=- (Version vom 23. April 2024, 13:45 Uhr UTC)
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Massenbach: Christian Karl August Ludwig von M., preußischer Oberst, wurde am 16. April 1758 zu Schmalkalden, wo sein Vater Oberforstmeister war, geboren und zunächst auf dem Familiengute M. bei Heilbronn erzogen. Anfänglich wuchs er ziemlich wild auf, die Jagd war seine hauptsächliche Beschäftigung; als er aber das Unglück gehabt hatte, dabei einen Oheim schwer zu verwunden, wandte er sich wissenschaftlichen Studien zu. Besonders die Mathematik zog ihn an. Schon mit dreizehn Jahren befaßte er sich in Stuttgart, wohin er mit der vom Herzog Karl von Württemberg errichteten Pflanzschule auf der Solitude, bald nach seinem Eintritt in letztere, übersiedelt war, mit Differential- und Integralrechnung. In seinem 20. Lebensjahre wurde er in Württemberg Offizier und gleichzeitig Lehrer an jener Stuttgarter Akademie, hatte aber bald den Wunsch, den dortigen Dienst mit dem preußischen zu vertauschen, und wurde 1782 von Friedrich dem Großen, obgleich der Herzog ihm den Abschied verweigerte, als Lieutenant im Quartiermeisterstabe angestellt. („Friedrich’s des Großen Unterredungen mit mir im J. 1782 bei meinem Eintritt in den preußischen Dienst“, Amsterdam 1809). Die Unzulänglichkeit seines Einkommens machte ihn zum Schriftsteller. Mit einem Gehalte von 500 Thalern sollte er leben und dabei zwei Pferde halten. Er verfaßte ohne Namensnennung „Anfangsgründe der Differential- und Integralrechnung“, Halle 1784, gab nach Bezout’s Cours de mathématique ein Lehrbuch der Mechanik heraus und war bei der Redaktion der „Militärischen Monatsschrift“ (Berlin, Januar 1785 bis Juni 1787) thätig. Man wurde aufmerksam auf ihn; Tempelhof, mathematischen Studien selbst sehr zugethan, zu dessen Bombardier prussien er (Halle 1785) einige Erläuterungen drucken ließ, regte ihn an auf der betretenen Bahn fortzuschreiten, und der Prinz von Preußen, bald König Friedrich Wilhelm II., übertrug ihm den Unterricht seines Sohnes, des Prinzen Ludwig, in der Mathematik. Die Expedition nach Holland brachte Abwechslung; M. machte sie als Kapitän im Generalstabe mit, wurde aber am 17. September 1787 bei einem Patrouillenritte in der Gegend von Hilversum an der linken Hand so schwer verwundet, daß er an den Ereignissen nicht länger Theil nehmen konnte. Er verlor drei Finger, gewann aber den Orden pour le mérite. Er erhielt nun zunächst die Stelle eines Lehrers der Mathematik an der neuerrichteten Ingenieurschule, wurde Flügeladjutant und zog 1792 in den Krieg gegen Frankreich. Er machte denselben, auch in den Feldzügen von 1793 und 1794, als Generalstabsoffizier mit; für die rechtzeitige Besetzung der Höhe von La Lune gelegentlich der Kanonade von Valmy ertheilte ihm König Friedrich Wilhelm II. die Anwartschaft auf eine Präbende in Minden. Die von ihm gemachten Erfahrungen verwerthete M. in einer anonym erschienenen „Uebersicht des Feldzuges von 1793, nach dem Tagebuche eines englischen Offiziers“, welche 1793 gedruckt ward, sowie in „Betrachtungen über die Feldzüge gegen Frankreich in den Jahren 1792–94 und die wahrscheinlichen Resultate des Feldzuges von 1795“, o. O. 1795, und, nach Friedensschluß, in einer „Beleuchtung des Mack’schen Operationsplanes von 1794“, Berlin 1796, in einer „Beschreibung des Kriegstheaters zwischen dem Rhein, der Nahe und der Mosel, nebst Betrachtungen über die 1793 und 1794 dort vorgefallenen Begebenheiten“, Berlin 1798, und in einer „Freimüthigen Beurtheilung der Operationen der österreichischen und französischen Armee im Feldzuge 1795“, Germanien 1806. Zahlreiche Denkschriften, welche er zu Anfang unseres Jahrhunderts behufs Reorganisation des Generalstabes und zum Zweck einer Befestigung der Ostgrenze des Staates ausarbeitete, fanden keine Berücksichtigung; den in der letzteren gemachten Vorschlägen lag bereits der ihn leitende Gedanke zu Grunde, daß Preußen nur in engem Anschluß an Frankreich sein Heil zu erblicken habe. Daneben verfaßte [566] er in dieser Zeit Lobreden auf Zieten, auf Ferdinand von Braunschweig und auf den Prinzen Heinrich, sowie auf Mark Aurel und auf Sully. Als 1805 der Krieg auszubrechen drohte, ward Oberst M. General-Quartiermeister beim Fürsten Hohenlohe, welchen er schon aus der Rheincampagne her kannte, und auf den er bald sehr bedeutenden Einfluß gewann. Er behauptete letzteren, als er im folgenden Jahre, wo der Krieg wirklich ausbrach, die nämliche Stellung beim Fürsten erhielt, welchem das Commando der aus Preußen und Sachsen zusammengesetzten zweiten Armee übertragen war. Sein Einfluß erwies sich als ein unheilvoller. Hohenlohe wurde bei Jena am 14. October geschlagen und capitulirte am 28. desselben Monats bei Prenzlau mit allen Truppen, welche noch unter seinen Befehlen standen, im Ganzen etwa 10 000 Mann. Wenn M. schon von der Mitverantwortlichkeit für den unglücklichen Ausgang jenes Schlachttages sowie für die vorangegangenen unzweckmäßigen Maßregeln nicht freigesprochen werden kann, so trifft ihn fast allein die Schuld an der Schmach der Uebergabe. Die Meldung, welche er seinem Feldherrn machte, daß er auf allen Seiten von überlegenen Kräften des Feindes umringt und daß für die fast völlig erschöpften, geistig wie körperlich auf das Aeußerste mitgenommenen preußischen Truppen keine Hoffnung auf Entrinnen mehr sei, wirkten überwältigend und bestimmend auf den Fürsten (v. Höpfner, Krieg von 1806/7, 2. Auflage, Berlin 1855; über das Detail von Massenbach’s Betheiligung „Aus dem Nachlaß des General v. d. Marwitz“, 2. Band, Berlin 1852). M. handelte in gutem Glauben, aber er war so verwirrt, daß er nicht mehr wußte, auf welchem Ufer der Ucker er sich befand, und vertraute blindlings dem Worte der französischen Heerführer, welche ihn Dinge glauben machten, von deren Haltlosigkeit er sich leicht hätte überzeugen können. Er bewies hier, daß ihm die ersten Erfordernisse für die einflußreiche und verantwortliche Stellung, welche er inne hatte, vollkommen abgingen; es fehlten ihm Kaltblütigkeit und Besonnenheit, Entschiedenheit und Energie. Er war ein unpraktischer Theoretiker, ohne Verständniß für das wahre Wesen des Krieges, befangen in den Anschauungen seiner Zeit, welche den Krieg wie ein mathematisches Problem ansah; eine schöne Stellung einzunehmen und in den Besitz eines strategisch wichtigen Punktes zu gelangen, schien ihm wichtiger, als den Feind zu schlagen; ein geistvoller, genialer Kopf freilich, aber von einer unruhigen, aufreibenden Thätigkeit, verstand er nicht mit Menschen umzugehen; heftig, eitel, rechthaberisch und herrschsüchtig, konnte er liebenswürdig sein, wenn er unbedingter Zustimmung zu seinen Ansichten begegnete; Widerspruch machte ihn grob; seine reichen Kenntnisse verstand er in fließender, formgewandter Redeweise zu verwerthen. Seine Auffassung der politischen Lage Preußens war von schwerwiegendstem Einfluß; noch immer sah er in Napoleon den wahren Erretter und den berufenen Schützer seines Adoptivvaterlandes. Nachlässig im Anzuge, ging er mit der Miene des Denkers einher und liebte es, seine Meinung in Orakelsprüchen kundzugeben. Dabei war er ein schlechter Reiter, dem sein starker, vollblütiger Körper sehr erschwerte zu Pferde zu sein, so daß er auf den Märschen meist fuhr; auch dieser Mangel erschwerte es ihm bei Prenzlau sehr, die Wahrheit zu ergründen. So schildern ihn namentlich Müffling („Aus meinem Leben“, Berlin 1851) und Marwitz (a. a. O.); letzterer, welcher mit ihm sowol 1805 wie 1806 zu Hohenlohe’s Stabe gehörte, sagt, wenn ihm das Blut zu Kopf gestiegen, sei er oft ganz verwirrt gewesen. Nach Friedensschluß wurde auch Massenbach’s Verhalten während des Krieges einer Untersuchung unterworfen, welche jedoch nicht zu Ende gekommen ist, weil Hohenlohe erklärte, daß er selbst die Verantwortung für alles Vorgefallene allein trage, M. habe nur seine Befehle ausgeführt. M. lebte nun auf dem ihm früher geschenkten Gute Bialokoscz bei Pinne im Posenschen und [567] beschäftigte sich damit, seine Thätigkeit und die Richtigkeit der von ihm vertretenen Ansichten in einer Reihe von Druckschriften klarzulegen, welche, wenn sie auch, als von einem einseitigen Parteistandpunkte aus abgefaßt, in Allem, was den Autor persönlich angeht, eine wenig lautere Quelle sind, doch als werthvolle Beiträge zur Zeitgeschichte betrachtet werden müssen. Es waren dies: „Betrachtungen und Aufschlüsse über die Ereignisse der Jahre 1805 und 1806“, Frankfurt und Leipzig 1808; „Drei Sendschreiben an die Herren General-Lieutenants von Blücher und von Rüchel und an den Geheimen Cabinetsrath Herrn Lombard. Nebst dessen Erklärung über das Buch Gallerie Preußischer Charaktere“, Frankfurt und Leipzig 1808; „Rückerinnerungen an große Männer“, Amsterdam 1808 (Friedrich II., Prinz Heinrich); „Memoiren über mein Verhältniß zum preußischen Staat und ins Besondere zum Herzog von Braunschweig“, Amsterdam 1809. Dagegen rührt das vielfach ihm zugeschriebene Buch „Gallerie preußischer Charaktere“, Germanien 1809, in welchem auch M. geschildert ist, nicht von ihm; es ist vielmehr mit Sicherheit anzunehmen, daß Friedrich Buchholz der Verfasser ist. Nachdem sein Gut Bialokoscz zum Großherzogthum Warschau geschlagen war, forderte Poniatowski ihn auf, in den Generalstab der dort gebildeten Armee zu treten, was er ausschlug, obgleich ihm Preußen weder den erbetenen Abschied, noch Gehalt oder Pension gab; dagegen bot er im J. 1813 dem preußischen Staate von neuem seine Dienste an, welche abgelehnt wurden; daß er damals in Betreff seiner Anschauungen über den Krieg noch ganz auf demselben Boden stand wie 1806, beweist ein Brief von ihm an den General-Adjutanten v. Kleist vom 26. Juni, in welchem er die Besetzung der beherrschenden Stellung von Raudten in Schlesien als das einzige Rettungsmittel für die Armee bezeichnet. Daneben weist er in diesem Briefe darauf hin, daß seine Terrainkenntniß ihn als den richtigen Mann erscheinen lasse, um die Armee in ihrer kritischen Lage richtig zu leiten (Jahrbücher für die Armee und Marine, Berlin, December 1882: „Aus Knesebeck’s Nachlaß“). 1817 nahm er, nachdem seine Familie eine Virilstimme in der württembergischen Ständeversammlung erhalten hatte, den ihm dadurch zugefallenen Platz in derselben ein und machte der Regierung heftige Opposition. Als die Versammlung bald nachher aufgelöst ward, wurde er aus Stuttgart und dann auch aus Heidelberg ausgewiesen. Er ging nun nach Frankfurt am Main, wurde hier auf Requisition der preußischen Regierung verhaftet, dieser ausgeliefert und vor ein Kriegsgericht gestellt. Er hatte eine Fortsetzung seiner Memoiren geschrieben und der Regierung angeboten, sie ihm abzukaufen. Daraufhin wurde er beschuldigt, Schriftstücke veröffentlichen zu wollen, deren Geheimhaltung Dienstpflicht für ihn sei, und des beabsichtigten Landesverrathes angeklagt. Die Verurtheilung zu einer vierzehnjährigen Festungsstrafe war das Ergebniß der Untersuchung. Er verbüßte dieselbe zunächst in Küstrin, dann in Glatz, wurde 1826 von König Friedrich Wilhelm III., welcher an einem Beinbruch darniederlag und demjenigen Menschen eine Gnade erweisen wollte, der ihn am tiefsten beleidigt hätte, begnadigt und starb am 21. November 1827 zu Bialokoscz. Ueber seine Verhaftung im Jahre 1817, wie über sein Vorleben überhaupt, giebt eine im December jenes Jahres erschienene Schrift „Der Oberst Christian v. Massenbach. Eine biographische Skizze seiner Schicksale, Anschuldigungen und Vertheidigungsgründe“ (o. O.), welche seine Rechtfertigung versucht, mannigfachen Aufschluß; sie hat der im Neuen Nekrolog der Deutschen, Ilmenau, Jahrgang 1827, 2. Theil, veröffentlichten Lebensskizze Massenbach’s als Quelle gedient; beide geben von seiner Persönlichkeit ein ganz verkehrtes Bild, welches den Schilderungen unparteiischer und competenter Zeitgenossen durchaus widerspricht.